Lüneburgs Geschichte in Stein gemeißelt

Mitten in der Stadt Lüneburg befindet sich ein Ort, der sowohl Platz für Erinnerungen, Trauer und Trost bietet, als auch Geschichten erzählt und Neugierde weckt. Er ist Park, Denkmal und Museum zugleich. Der Zentralfriedhof an der Soltauer Straße.

 

Mit seinen 12,9 ha zählt er zu den größten Friedhöfen der Stadt. Dabei war er keineswegs immer der bedeutendste. Die anderen bis dahin vorhandenen Friedhöfe waren voll und so wurde es notwendig, weitere Bestattungsflächen zu schaffen. So wurde Ende des 19. Jahrhunderts der Zentralfriedhof eröffnet. Die kleine Kirchenkapelle am Haupteingang bekam eine imposante Glocke, die damals zu jeder Beerdigung erklang. Doch als das Krankenhaus in der Nähe des Friedhofs eröffnet wurde, gab es Protest aus der Bevölkerung. Die Glocke würde die Patienten in Ihrer Genesung beeinträchtigen, weil sie sie an den Tod erinnere. Also wurde die Glocke per Anordnung stillgelegt. Bestattungen verliefen fortan in einer sehr ruhige Zeremonie. Bisdie Verordnung zurückgenommen wurde und die Glocke wieder schlug.

In den 1960er Jahren ging der Friedhof in kommunale Hand über. In der Zeit von wirtschaftlichem Aufschwung, wuchs auch die Einwohnerzahl von Lüneburg und somit der Bedarf an Grabflächen. Die beiden großen städtischen Friedhöfe Michaelis und Zentralfriedhof waren voll. Selbst Stichwege wurden zu Grabflächen umfunktioniert. Der Zentralfriedhof wurde für Neubelegungen gesperrt. Die nun neu hinzugekommenen Friedhöfe aus den eingemeindeten Orten mussten mitgepflegt werden und wurden vorrangig belegt.
Es dauerte bis zum August 1981, dass hier wieder Neugräber eröffnet werden konnten. Die Grünanlagen jedoch wurden während der ganzen Zeit durch die Friedhofsverwaltung gepflegt und die Gräber notdürftig erhalten. Als es darum ging, Friedhofsflächen zur Umfunktionierung als Parkflächen einzuebnen, oder gar Bauland daraus zu machen, starteten im Herbst 1983 verschiedenen Initiativen, um den Charakter der Friedhöfe in ihren historischen Strukturen und als kulturelles Erbe zu erhalten. Man besann sich darauf, dass die Kombination aus großen und kleinen Gräbern, alten und neuen Stätten, gemauerte, gemeißelte, geschmiedete oder in Holz geschnitzte Grabmale die Historie der Stadt widerspiegelt. Allein die Architektur der Gedenksteine und ihre Inschriften sind so abwechslungsreich und geschichtsträchtig, dass sie den interessierten Betrachter in ihren Bann ziehen. Wer die Namen darauf einmal aufmerksam liest, wird hier viele Persönlichkeiten der Stadt finden. Etliche Namen finden wir heute als Straßennamen wieder, aber auch Senatoren, Bürgermeister,  Künstler oder Stadtbaumeister. Allein auf dem Zentralfriedhof in Lüneburg befinden sich etwa 80 bis 100 historische Gräber, die auf der Liste der unter besonderen Schutz gestellten Grabmale und Grabgitter stehen. Diese Liste wurde im Jahre 1984 mit anfangs 40 Namen aufgestellt und seit dem weitergeschrieben.

Marga Jess - die erste deutsche Goldschmiedemeisterin
Eines dieser schützenswerten Gräber ist das von Marga Jess. Sie war die zweite Tochter von Konrad Heinrich Jess, Königlich Preußischer Geheim-Oberjustizrat und späterer Landgerichtspräsident zu Lüneburg, und seiner Frau Ida Wilhelmine Jess. Sie wurde 1885 in Rendsburg geboren und zog 1904 mit Ihren Eltern nach Lüneburg. Ihr großes Interesse galt der Goldschmiedekunst. Schon als Schülerin erlernte sie die Techniken des Treibens und Ziselierens an der privaten Debitz-Schule in München. Nach ihrer Ausbildung beim Berliner Hofjuwelier legte sie als erste deutsche Dame die Prüfung zur Goldschmiedemeisterin in Harburg ab und gehörte nur ein Jahr später selbst zur Prüfungskommission.
Ihre ersten Aufträge bekam sie von privaten Leuten, die sich ein Einzelstück leisten konnten. Mit den verschiedensten Exponaten nahm sie viele Jahre an Wettbewerben teil, besuchte Lehrgänge in Galvanotechnik und Silberschmieden. Mit 43 Jahren eröffnete Sie ein Ladengeschäft in der Grapengießerstraße 29, doch nur 7 Jahre später zog sie um, in das „Goldschmiedehaus“ An den Brotbänken 11. Hier errichtete sie ihre Arbeits-, Verkaufs- und Wohnstätte als sechste Goldschmiedin in Folge. Sie hatte fortwährend Aufträge aus privater und öffentlicher Hand, aus dem In- und Ausland, aus Europa und Amerika.
Im April 1953 verstarb Marga Jess. Auf  ihrer Grabplatte, die sie selbst 20 Jahre zuvor schon schmiedete, ist ihr Name mit dem Familienwappen zu sehen. Einer linksgekehrten Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt. Zu ihrem 100. Geburtstag hat der Kulturausschuss der Stadt Lüneburg ihr Grab als erhaltenswertes Denkmal eingestuft und somit ein Stück Lüneburger Geschichte erhalten.

 

S. Butenhoff