Lüneburg, März 2021
Die Weltbevölkerung altert. Daran können auch Anti-Aging-Cremes oder Songs wie „Forever young“ nichts ändern. Bei den Vereinten Nationen steht das Thema „Altern“ und der Schutz älterer Menschen schon lange auf der Agenda – ohne Ergebnis.
Laut Prognosen werden im Jahre 2050 weltweit mehr Menschen über 60 Jahre alt sein als unter 15. Das stellt Gesellschaften in aller Welt vor neue Herausforderungen: Viele Sozialsysteme sind
schlichtweg nicht auf die neuen Altersstrukturen ausgerichtet und kommen durch die Umverteilung von Jung und Alt ins Ungleichgewicht. Statt jedoch die steigende Lebenserwartung, den verbesserten
Gesundheitszustand und die erhöhte Leistungsfähigkeit älterer Menschen als Chance zu betrachten, bestimmen Sorgen über die zunehmende Pflegelast und den gescheiterten Generationenvertrag den
Diskurs. Denn „alt sein“ wird in der Regel ausschließlich mit Gebrechlichkeit, Inaktivität und Kosten in Verbindung gebracht. Neben der Tatsache, dass die negative Wahrnehmung des Alters die
Potenziale älterer Menschen verkennt, ist sie außerdem die Ursache für ein unterschätztes und doch omnipräsentes Problem: die Altersdiskriminierung.
Unter Diskriminierung wird die Ungleichbehandlung von Menschen in vergleichbaren Situationen aufgrund eines schützenswerten Merkmals verstanden. Um Altersdiskriminierung handelt es sich, wenn
dies aufgrund des Lebensalters geschieht. Somit umfasst „Altersdiskriminierung“ grundsätzlich auch die Diskriminierung von jungen Menschen ihres Alters wegen. In der Regel sind jedoch
hauptsächlich ältere Menschen betroffen. Der Begriff „alt“ ist dabei nicht abschließend definiert. Ab wann gilt eine Person als „alt“? Reicht es, das Alter in Lebensjahren auszudrücken oder
sollte der physische und geistige Zustand einer Person in die Festlegung ihres Alters mit einfließen? Spielen nicht auch das Durchlaufen bestimmter Lebensphasen sowie geographische und kulturelle
Unterschiede bei der Altersbestimmung eine Rolle?
„Normalisierte“ Diskriminierung
Unabhängig davon, wie man das Alter eines Menschen letztendlich bestimmt, sind alte Menschen eine sehr heterogene Bevölkerungsgruppe. Das macht die eindeutige Feststellung von
Altersdiskriminierung umso schwieriger, da häufig neben dem Alter noch andere Faktoren, wie beispielsweise der soziale Status oder das Geschlecht, eine Rolle spielen. Darüber hinaus wird der
Ausschluss älterer Menschen vom gesellschaftlichen Leben oft nicht als Diskriminierung verstanden, sondern als „normal“ betrachtetet – teilweise sogar von den Betroffenen selbst. Die
gesellschaftlich „normalisierte“ Altersdiskriminierung wird daher auf politischer Ebene nicht konsequent bekämpft und in vielen Fällen schlichtweg nicht erkannt.
Nichtsdestotrotz ist erwiesen, dass Menschen aufgrund ihres erhöhten Alters ungerechtfertigte Ungleichbehandlung erfahren. Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2015 halten
42 % der Befragten aus 28 EU-Mitgliedstaaten die Diskriminierung aufgrund höheren Alters in ihrem Land für sehr oder relativ weit verbreitet. Direkte Diskriminierung erfahren ältere Menschen
am häufigsten auf dem Arbeitsmarkt, im Bereich Finanzen und Versicherungen sowie im Gesundheitswesen. Konkrete Beispiele gibt es viele: Von Stellenangeboten, die sich auf junge Bewerber
beschränken, über abgelehnte Kreditanträge, bis hin zu steigenden Versicherungsprämien und der Verweigerung von Reha- und Präventionsmaßnahmen. Auch im ehrenamtlichen Bereich und bei
Freizeitaktivitäten kann das Alter zu direkter Diskriminierung führen. Einen indirekt diskriminierenden Effekt hat die zunehmende Digitalisierung verschiedener Dienstleistungen, die für ältere
Generationen nicht oder nur noch schwer zugänglich sind.
Altersdiskriminierung auf der Agenda der Vereinten Nationen
Schon im Jahre 1977 diskutierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Rechte älterer Menschen und wies auf die besondere Schutzbedürftigkeit dieser Bevölkerungsgruppe hin. 1982
fand dann die erste Weltkonferenz der Vereinten Nationen zu den Rechten älterer Menschen statt und ein Weltaltenplan wurde verabschiedet. Es folgte – ganze zwanzig Jahre später – ein zweiter
Weltaltenplan, mit dem Ziel, die Lebenssituation älterer Menschen zu verbessern und die intergenerationelle Solidarität zu stärken. Menschen sollten weltweit die Möglichkeit haben, in Sicherheit
und Würde zu altern und weiterhin mit vollen Rechten an der Gesellschaft teilzuhaben. Doch die Bemühungen reichten nicht aus. Im Dezember 2010 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten
Nationen eine Resolution, in deren Rahmen eine Arbeitsgruppe zum Thema „Altern“ ins Leben gerufen wurde. Der Generalsekretär wurde zudem aufgefordert, einen Bericht über die weltweite Situation
älterer Menschen vorzulegen. Dieser stellt insbesondere fest, dass rechtliche Verpflichtungen gegenüber Älteren zwar implizit in zentralen internationalen Menschenrechtsverträgen enthalten sind,
ältere Menschen jedoch nur selten explizit erwähnt und rechtlich geschützt werden. Die Arbeitsgruppe zum Thema „Altern“ wurde daher beauftragt „schnellstmöglich“ Vorschläge für ein rechtlich
bindendes Instrument zu unterbreiten, welches die Rechte und die Würde älterer Menschen schützen sollte.
Acht Jahre später liegt jedoch noch immer kein solches Instrument vor. Vom 29. März bis zum 1. April 2021 fand die elfte Sitzung der Arbeitsgruppe zum Thema „Altern“ statt. Ein
Programmpunkt auf der Agenda spricht von der Sammlung „mögliche[r] Inhalte für ein multilaterales Rechtsinstrument und Identifizierung von Bereichen und Themen, in denen weiterer Schutz- und
Handlungsbedarf besteht“. Ein Hoffnungsschimmer für ein internationales, rechtliches Instrument in absehbarer Zeit?
Älteren Menschen eine Stimme geben
Ein globaler, menschenrechtlicher Standard zum Schutz der Menschenrechte Älterer stellt einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung von Altersdiskriminierung dar, reicht jedoch allein nicht aus, um
das Problem zu lösen. Der rechtliche Ansatz muss einhergehen mit einer veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung älterer Menschen. Durch eine steigende Lebenserwartung, bessere
Gesundheitsversorgung und demografische Umstände nehmen ältere Menschen – oft unbemerkt – neue, wichtige Rollen in der Gesellschaft ein: Sie bleiben länger im Arbeitsleben, kümmern sich um ältere
Verwandte während sie gleichzeitig als Eltern und Großeltern fungieren und sie sind wesentlich engagierter im gesellschaftlichen Leben als ältere Menschen vorheriger Generationen.
Die Vereinten Nationen sollten deshalb ältere Menschen aktiv in die Ausarbeitung eines rechtlichen Instruments zum Schutz ihrer Rechte einbinden. Durch Konsultierungen der Zivilgesellschaft
geschieht dies bereits. Man könnte jedoch noch weiter gehen und ähnlich wie im Jahre 2015 im Bereich „Jugend, Frieden und Sicherheit“, auf UN-Ebene eine partizipative Studie durchführen, bei der
weltweit ältere Menschen in offenen Gesprächen zu ihren Visionen und Potenzialen befragt werden. Die Studienergebnisse könnten anschließend auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene
genutzt werden, um ältere Menschen besser einzubinden und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Politik, die sie betrifft, aktiv selbst zu gestalten. Dabei sollte der Generationendialog gefördert
werden, um Stereotype abzubauen und um das Älterwerden gesellschaftsfähiger zu machen. Schließlich wird jeder eines Tages alt sein.
Autor: Rebecca Fleming