Lüneburg, September 2022

© laura-fuhrman/unsplash.de
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unser gedächtnis

Wie funktioniert es?

Wer kennt es nicht: Dinge werden verlegt, Namen vergessen oder ein Termin wird verpasst. Aber bedeutet das gleich, dass man sich Sorgen machen muss? Nein, sagen die Hirnforscher ganz klar dazu. Soetwas ist normal, da der Grund dafür in der Arbeitsweise des Gedächtnisses liegt.

Jeder stellt sich mal die Frage: Ist meine Vergesslichkeit schon außergewöhnlich hoch? Liegen meine Gedächtnislücken noch im normalen Bereich? Liest man über Menschen wie Kim Peak, der 12.000 Bücher wiedergeben konnte oder Surrest Kumar Sharma, der rund 70.000 Nachkommastellen der Zahl Pi auswendig lernte, zweifeln wir an unserer Merkfähigkeit.
Dabei berücksichtigen wir gar nicht, was unser Gedächtnis im Alltag alles leistet. Die etwa 87 Milliarden Nervenzellen mit ihren rund 15 Trillionen Synapsen machen das Gehirn zu einem gigantischen Speicher mit enormer Kapazität. Wäre das Denkorgan also ein Videorekorder, könnte es etwa drei Millionen Stunden Filme speichern, was wiederum für rund 300 Jahre Dauerfernsehen reichen würde.
Ein gewisses Maß an Vergesslichkeit gehört zu einem gesunden Gehirn. Denn würden alle eingehenden Reize gespeichert werden, wären wir nicht länger handlungsfähig.
Mit voranschreitendem Alter wird unser Gehirn langsamer, das Langzeitgedächtnis dagegen lässt kaum nach. Dafür nimmt jedoch die Leistung des Arbeitsgedächtnisses ab. Das ist auch der Grund, warum ältere Menschen schneller den Faden verlieren.
Beim Gedächtnis kommt es nicht nur auf das Fassungsvermögen an. Bestimmte Erinnerungen sind nicht nur eine bloße Ansammlung an Fakten und Schulwissen oder Datenpunkte unseres Lebensweges. Sie sind das Grundmaterial, aus dem sich unser Selbst bildet. Das bedeutet, es verweben sich Erlebnisse und Erfahrungen mit unseren Gewohnheiten und Gefühlen. Somit wird jedem Menschen eine individuelle Persönlichkeit verliehen. Das Gehirn arbeitet im Verborgenen, sodass wir zunächst gar nicht bewusst wahrnehmen, wenn ein vergangenes Ereignis oder eine Erfahrung uns in unserer aktuellen Wahrnehmung verändert.
Geschätzt 400.000 Reize treffen jede Sekunde auf unsere Sinnesorgane, die das Gehirn sortieren, bewerten und in einem Bewusstseinsstrom einordnen muss, welcher die meisten vergessen lässt. Nur wenige Signale werden tatsächlich abgespeichert und das ist auch gut so. Ansonsten würden wir innerhalb kürzester Zeit von dieser Informationsflut überwältigt werden.

© Taleseedum/AdobeStock.de
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Erfahrungen und Erinnerungen werden verknüpft
Beim Abrufen unserer Erinnerungen kommen gleich mehrere wieder hoch. Diese werden nach dem Erleben miteinander verknüpft. Sobald uns dann etwas Ungewohntes passiert, zum Beispiel eine neue Umgebung, holt das Gehirn Erinnerungen an bereits ähnlich Erlebtes hervor. So können wir uns in Restaurants schneller zurechtfinden, weil wir wissen, was wir mögen oder, dass der Weg zur Toilette ausgeschildert sein wird. Unser Gehirn verbindet also Erlebnisse mit vorhandenem Wissen, wendet dieses an und fügt neue Erlebnisse hinzu.
Über die Sinnessysteme gelangen sämtliche Reize zum Hippocampus und zur Amygdala. Die Amygdala ist ein Kerngebiet des Schläfenlappens, welches die Ereignisse auf ihren emotionalen Gehalt prüft. Der Hippocampus hingegen ordnet nach der Relevanz. Dies verrichtet er während wir schlafen: Unwichtiges wird aussortiert, während Wichtiges in Bereiche der Hirnrinde verschoben wird.
Der Kern einer Erinnerung bleibt jedoch im Hippocampus gespeichert. Sodass wir blitzschnell die Erfahrung hervor holen und eine Situation einschätzen und dementsprechend reagieren können.


Wie viel Vergesslichkeit ist normal?
Auch mit gesundem Hippocampus ist kein Gedächtnis perfekt. Vergesslichkeit und Fehler gehören auf natürliche Weise dazu und haben daher nichts mit dem Alter zu tun. Dennoch fängt man schnell an, sein Gedächtnis anzuzweifeln – vor allem, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat.
Untersuchungen zeigten zwar, dass das semantische Gedächtnis für Fakten und Namen im Alter langsamer und weniger präzise ist, die Gedächtnisleistung jedoch an sich nur wenig abnimmt.
Wichtig ist, sich seine Vergesslichkeit nicht einzureden. Denn wie leistungsfähig unser Gehirn ist, hängt auch davon ab, wie viel wir uns zutrauen.
Das wir mit zunehmendem Alter schneller Dinge vergessen hängt auch damit zusammen, dass sich die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses reduziert. Somit lassen wir uns schneller ablenken und vergessen, was wir gerade tun wollten. Auch andere Faktoren, wie Schlafmangel, Stress und seelische Belastung nehmen Einfluss auf unser Arbeitsgedächtnis.

 

Quelle: www.spektrum.de