Wer auf den höchsten Berg der Welt möchte, geht dafür wortwörtlich über Leichen oder an ihnen vorbei. Man muss sich drauf einstellen, dass neben den Hauptbesteigungsrouten, und weiter abseits, tiefgefrorene, verkrümmte Körper liegen. „Das Thema Tod ist immer präsent am Everest“, sagt ein Bergführer aus Oberstdorf. Die Besteigung soll trotzdem ein überwältigendes Glücksgefühl in einem auslösen, trotz der schaurigen Begegnungen.
Einer der Toten wird „Green Boots“ gennannt, weil er bei seinem Besteigungsversuch 1996 neongrüne Bergstiefel trug. Der Tote wurde 18 Jahre lang als Wegweiser auf 8.500 Meter Höhe an der
Nordroute verwendet. Doch 2014 verschwand die „Green Boots“-Leiche auf einmal, keiner weiß wohin.
Am häufigsten wird man beim Abstieg mit Toten konfrontiert, denn „… beim Aufstieg ist es in der Regel noch dunkel“, sagt der Bergführer Dominik Müller. Es sollen nach Angaben 10 Leichen auf der
Südroute von Nepal aus und entlang der Nordroute auf der tiebetischen Seite zu sehen sein.
Die Erstbesteigung gelang im Jahre 1953. Seit dem kamen ungefähr 300 Menschen am Everest ums Leben. Die meisten Leichen sind auf dem Berg geblieben, denn eine Bergung in den Todeszonen ist zu
aufwendig und zu teuer. Bergungen dieser Art kosten bis zu 30.000 Euro. Dazu kommt noch, dass Helikopter nicht über einer Höhe von 7.000 Meter landen und zu große Lasten aufnehmen können.
Bergungen müssen also zu Fuß stattfinden.
Die Sherpas sind ein Volk, das vor 300 bis 400 Jahren nach Himalaya eingewandert ist. Dieses Volk sammelt am Everest Müll und versucht Leichen zu Bergen oder sie zumindest aus dem Sichtfeld der
Bergsteiger zu schaffen. China plant zudem, Leichen in einer Höhe von über 8000 Metern zu Bergen. Der Klimawandel trägt auch einiges zu dem Grusel am Everest bei. Denn mittlerweile werden
auch in tieferen Lagen die Toten wieder sichtbar. Wegen der steigenden Temperaturen schmelzen die Eispanzer und Gletscher am Everest immer schneller. Dadurch kommen immer mehr Leichen zum
Vorschein, die vorher viele Jahre eingeschlossen waren. Das geschieht vor allem am Khumbu-Eisbruch, einer 600 Meter hohen Abbruchkante des Gletschers an der Südseite des Everest, die erste
schwierige Passage auf der Südroute. 2017 tauchte sogar schon eine Hand von einem Toten Alpinisten aus dem Eis oberhalb von Camp 1, auf der Südroute auf. 2018 gelingt es mehr als 800 Menschen auf
den Gipfel zu Steigen, doch mindestens 4 Menschen starben dabei. Höhenbergsteigern ist es aber bewusst, das man bei so einer Höhe ein großes Risiko eingeht.
Dominik Müller hatte für 2020 eine Everest-Tour vorbereitet, die über die Nordroute von Tibet aus gehen sollte, der Kostenpunkt pro Teilnehmer lag ab 55.278 Euro. Seine Firma hatte bisher noch
keine tödlichen Vorfälle. Zu so einer großen Expedition gehört auch ein richtiges Training und neben dem normalen alpinistischen Training und der Akklimatisation auch eine psychologische
Heranführung an den Everest. Er zeigt den Höhenbergsteigern Fotos von der gesamten Route, auch von den Leichen. Bis jetzt hat sich von dem Anblick noch keiner abschrecken lassen. Das Aufräumen
und Bergen von Leichen weiter oben, in der Todeszone, ist weiterhin schwierig, wobei die Leichen in der Höhen von über 7.000 Metern durch die eisigen Winde gefriergetrocknet und jahrzehntelang
konserviert werden, so komisch das auch klingt.
„Die Toten, denen man auf der Nordroute begegnet, sitzen oder liegen meistens auf dem Schnee“, berichtet der Höhenbergsteiger Dominik Müller. Der brühmte „Green Boots“ war einer von Ihnen, seine
Leiche lag bis 2014 vollkommen bekleidet in einer Kalksteinhöhle. Seine Identität konnte nie geklärt werden, Vermutungen liegen aber bei dem vermissten indischen Bergsteiger Tsewang Paljor, der
im Mai 1996 nach einem überraschenden Blizzard nicht vom Everest zurückkehrte. Allein in diesem Schneesturm kamen acht Bergsteiger ums Leben. Dieses Drama wurde bekannt durch Jon Krakauers Buch
„In eisige Höhen“. Über berühmte tote Alpinisten aus dem Westen wird immer wirder mal groß berichtet, die meisten Fälle bleiben aber unbekannt. Und tatsächlich sind von den rund 300 Everest-Toten
120 einheimische Sherpas aus Nepal und Tibet, die beim Präparieren der Route oder beim Aufräumen am Berg ums Leben kamen.
Beitrag: Charleen Röber